28.07.2021: Lizenzierung ja oder nein? – Bestandscontrolling im Kontext elektronischer Ressourcen, Teil 1

Von Dana Vosberg (TIB Hannover)

Jede Bibliothek steht vor der Herausforderung, die ihr zugewiesenen Mittel zum Literaturerwerb unter Berücksichtigung des jeweiligen Versorgungsauftrages möglichst effizient einzusetzen. In Anbetracht der Vielzahl und Heterogenität von Lizenzmodellen und Nutzungsstatistiken sowie mangels fehlender geeigneter Vergleichswerte erweist sich allerdings fast jede Lizenzerneuerung für die Bibliothek als komplexes Entscheidungsproblem. Das ist zwar kein Grund zur Verzweiflung, aber Anlass genug, das Thema „Bestandscontrolling“ in diesem Blog-Beitrag aufzugreifen.

Ziel des Beitrags ist es, einerseits ein strukturiertes Analysemodell zu erarbeiten, um die skizzierte Komplexität im Zusammenhang mit der Lizenzierungsproblematik zu verringern und andererseits den Austausch zwischen den jeweiligen Entscheidungsträger*innen zu befördern.

Der folgende Text versteht sich deshalb als Einladung an Erwerbungsleiter*innen und -expert*innen sowie Repräsentant*innen von Verlagen und Agenturen, die jeweilige Entscheidungssituation im Kontext des Bestandscontrollings elektronischer Ressourcen zu analysieren und zusätzliche Handlungsoptionen – neben der schlichten Verlängerung oder Kündigung – zu erarbeiten, miteinander abzustimmen und in der Praxis zu erproben. Der Gesamtbeitrag setzt sich aus zwei Teilen zusammen: Zunächst steht das klassische Subskriptionsmodell im Fokus; im zweiten Teil des Beitrags, den wir in zwei Wochen über den Blog teilen werden, stehen Open Access-Geschäftsmodelle im Mittelpunkt der Überlegungen.

Teil 1: Klassische (Campus-) Lizenzen

Auch wenn die Kosten pro Download nur einen kleinen Ausschnitt der Gesamtheit einer Kosten-Nutzen-Relation elektronischer Ressourcen abbilden, sind sie eine – wenn nicht gar die wichtigste – Grundlage von Lizenzierungsentscheidungen in wissenschaftlichen Bibliotheken.[1] Doch bedarf es bei ihrer Anwendung besonderer Sorgfalt im Hinblick auf Ermittlung und Interpretation, um Fehlentscheidungen zu vermeiden. Eine Analyse in drei Schritten:

1. Ermittlung der (realen) Kosten pro Download

Schauen wir zunächst auf den klassischen Fall und kreieren hierfür das folgende Szenario: Eine größere wissenschaftliche Bibliothek möchte eine bestehende Campus-Lizenz für ein mittelgroßes Zeitschriftenpaket erneuern. Die Kosten pro Download im vergangenen Jahr liegen bei 2,30 €. Zugriffe auf Open Access-Publikationen sowie Mehrfachzugriffe innerhalb einer Nutzungshandlung wurden bei Ermittlung der entsprechenden Counter 5-Statistik bereits eliminiert. Es werden also weder doppelte Nutzerzugriffe auf dasselbe Dokument noch die Zugriffe auf ohnehin frei verfügbare Inhalte berücksichtigt. So weit so gut.

Nun existiert für diese Zeitschriften aber eine umfangreiche Nationallizenz, die Inhalte bestimmter Jahrgänge stehen registrierten Einrichtungen oder Privatpersonen ebenfalls kostenfrei zur Verfügung. Zieht man die Nutzungszahlen auf Inhalte dieser Jahrgänge ab, ergeben sich deutlich verringerte Zugriffszahlen. Die Kosten pro Download steigen auf 3,50 €. Man könnte zu dem Schluss gelangen, dass sich die Kosten immer noch „im grünen Bereich“ bewegen.

Das Zeitschriftenpaket wird aber bereits seit 5 Jahren lizenziert, für die in diesem Zeitraum publizierten Inhalte hat die Bibliothek ebenfalls dauerhafte Nutzungsrechte erworben. Auch die Nutzung darauf darf in die Kosten-Nutzen-Analyse nicht einbezogen werden.[2] Die Nutzungszahlen sinken ein weiteres Mal erheblich, gerade weil es sich um die 5 zurückliegenden und damit meist intensiver genutzten Jahrgänge handelt.[3] So bleiben letztlich die Zugriffe auf Inhalte des aktuellen Lizenzjahres, bezogen auf die für das aktuelle Lizenzjahr gezahlten Kosten. Die Kosten pro Download liegen jetzt bei 7,60 €. Diese realen Kosten pro Download sind eine wichtige Voraussetzung für die weitere Entscheidungsfindung – siehe Schritt 2.

2. Vergleich mit geeigneten Referenzwerten

Eine isolierte Kennzahlenbetrachtung hilft hier allerdings nicht weiter, vielmehr müssen die berechneten Kosten pro Download geeigneten Referenzwerten gegenübergestellt werden. Wie hoch aber sind die Kosten pro Download, die für eine elektronische Ressource gerade noch akzeptabel wären? Orientierung bieten hierbei fachbereichsbezogene Durchschnittswerte der eigenen Einrichtung. Dabei besteht die Wahl zwischen arithmetischem Mittel und Median, wobei der erste Wert – weil deutlich anfälliger für Ausreißer – häufig erheblich größer ist. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, einrichtungsspezifische Grenzwerte für die maximalen Kosten pro Download selbst zu definieren. Dies können Werte aus der Vergangenheit sein, aber auch Kosten der Alternativbeschaffung (z.B. im Rahmen von Fernleihe oder Dokumentlieferung). Spannend wäre es, auch auf Vergleichswerte aus anderen Einrichtungen zurückzugreifen. Ein solcher bibliotheksübergreifender Austausch zu diesem Thema wäre im Rahmen von Kommentaren zu diesem Beitrag sehr willkommen.

Legen wir den folgenden Überlegungen die Annahme zu Grunde, dass die durchschnittlichen fachbereichsbezogenen Kosten für unser mittelgroßes Zeitschriftenpaket 4,80 € betragen. Die Kosten für die Dokumentlieferung an akademische Kunden liegen je nach Nutzergruppe und Versandart zwischen 5,50 € und 7,50 €, eine Fernleihe wäre für 1,50 € abzusetzen.

3. Lizenzierungsentscheidung treffen

Aus dem Abgleich zwischen den ermittelten (realen) Kosten pro Download und den für diese Ressource anwendbaren Referenzwerten ergibt sich dann die Basis für die Lizenzierungsentscheidung. Liegen die Kosten pro Download unter dem Vergleichswert, kann die Lizenz verlängert werden. Liegen sie darüber, ist eine Fortsetzung – zumindest in der gleichen Form – nicht zu empfehlen.

Was in unserem Beispiel zuerst nach einer einfachen Verlängerung aussah, muss nun also hinterfragt werden: Lohnt sich die Verlängerung der Lizenz wirklich? Mit 7,60 € pro Download liegen die Kosten pro Nutzung sowohl über den fachbereichsbezogenen Durchschnittswert als auch über den Kosten der Alternativbeschaffung. Wäre es nicht angeraten, die Zugriffe auf den aktuellen Jahrgang über Fernleihe oder Dokumentlieferung abzudecken? Ist ggf. eine Lizenz (wiederum mit dauerhaften Zugriffsrechten) nur für den aktuellen Jahrgang möglich? Hier ist Flexibilität und Umdenken auf beiden Verhandlungsseiten nötig. Die erworbenen Zugriffsrechte auf ältere Inhalte sollten sich in den Lizenzkosten angemessen widerspiegeln, ansonsten sind alternative Beschaffungswege in diesem Fall aus ökonomischer Sicht deutlich effizienter.

In Anbetracht umfangreicher Nationallizenzen, der dauerhaften Zugriffsrechte auf im Lizenzzeitraum publizierte Inhalte und des steigenden Anteils von Open Access-Artikeln in hybriden Zeitschriften ist davon auszugehen, dass es sich beim hier beschriebenen Beispiel nicht um einen Einzelfall handelt. Natürlich können neben den Kosten pro Download noch weitere Kennzahlen berechnet werden, auch qualitative Faktoren spielen eine Rolle. Darüber hinaus wäre auch eine detaillierte Analyse des Zeitschriftenpaktes sinnvoll. Hier ließe sich prüfen, ob die Nutzung über alle Titel gleichmäßig verteilt ist, oder ob nur einige wenige Titel sehr intensiv genutzt werden. Daraus ergibt sich u.U. die Entscheidung zum „Unbundling“. Ausgangspunkt für all diese zusätzlichen Evaluierungsmöglichkeiten ist und bleibt aber eine sorgfältige Analyse der Kosten pro Download. Auf dieser Grundlage können dann – in Zusammenarbeit mit allen Beteiligten auf Anbieter- und Nachfrageseite – weitere Entscheidungsparameter und Handlungsoptionen geprüft werden.

Fazit

Die sorgfältige Analyse der Kosten pro Download ist eine elementare Grundlage jeder Lizenzierungsentscheidung, deren Ergebnisse dann für die weitere Verhandlung des Lizenzangebotes genutzt werden können.

Teil II zum Thema Open Access folgt in zwei Wochen

Über die Autorin:

Dr. Dana Vosberg ist License Manager an der Technischen Informationsbibliothek (TIB) Hannover

Email: dana.vosberg@tib.eu


[1] Sie werden von 87% der Teilnehmer einer deutschlandweiten Befragung zum Thema Bestandscontrolling verwendet. Siehe https://www.o-bib.de/article/view/5672/8346, S. 4.

[2] Ein wichtiges Hilfsmittel für die Erhebung differenzierter Nutzungszahlen ist der Title Master Report TR_J4 (Journal Requests by Year of Publishing). Hiermit können Nutzungszahlen für genau definierte Zeitfenster abgebildet werden. Zum Counter-Standard siehe ausführlich https://www.projectcounter.org/wp-content/uploads/2018/03/Release5_Librarians_PDFX_20180307.pdf

[3] Die hier skizzierte Differenzierung von Nutzungszahlen findet laut der oben zitierten Umfrage unter Erwerbungsleitungen wissenschaftlicher Bibliotheken bei 50 % der teilnehmenden Einrichtungen gar nicht, bei 35 % immerhin teilweise statt. Siehe https://www.o-bib.de/article/view/5672/8346, S. 3. Da die exakte Abbildung von Nutzungszahlen eine wesentliche Voraussetzung für spätere Kosten-Nutzen-Analysen ist, besteht an dieser Stelle noch erhebliches Optimierungspotential.