Einige grundsätzliche Statements zum partnerschaftlichen Open Access in den Humanities
Mit dem vorliegenden Beitrag posten wir die Thesen, die Karin Werner (transcript-verlag) auf dem 7. Bibliothekskongress in Leipzig 2019 im Rahmen der GeSIG-Podiumsdiskussion vorgetragen hat. Das Thema unserer Veranstaltung in diesem Jahr lautete: „Neue Rollen für neue Zeiten“. Gemeinsam mit unseren Gästen diskutierten wir, wie Bibliotheken und Verlage im digitalen Zeitalter zusammenarbeiten bzw. kollaborieren können.
Karin Werner näherte sich dem Thema „partnerschaftliches Open Access in den Geistes- und Sozialwissenschaften“ aus Sicht eines mittelständischen Verlags an. Sie beleuchtet das Phänomen „Open Access“ soziologisch und wirbt für ein erweitertes Verständnis von Open Access im Sinne des Commons-Gedankens
- Open Science (und Open Access-Publizieren als dessen Voraussetzung dafür) bedeutet eine radikale, epochale Transformation des Forschens und Publizierens.
- Open Access ist also nicht NUR eine technische, eine administrative und eine finanzielle Aufgabe, aber AUCH. Wir sollten also miteinander über die ökonomische Seite reden, aber nicht nur.
- Wenn wir allerdings den Kern von Creative Commons – und der impliziert ein Commoning – nicht verstehen und uns zu eigen machen, werden wir uns an Nebenschauplätzen abarbeiten und scheitern.
- Der Commons-Gedanke, der in der Lizenz enthalten ist, endet dort nicht, sondern sollte auch den Entstehungs- und Publikationskontext umfassen. Sonst ist es kein „creative commons“. Wie unser Creative Commons en gros und en detail aussehen kann, darüber müssen wir uns verständigen.
- Commons-Prozesse beruhen auf Teilen (sharing) und Verknüpfen von Ressourcen; sie sind inklusiv. Sie stellen das proprietäre Urheberrecht in Frage und brechen mit der fundamentalen modernen geistigen Figur von Individualität und Genialität als einer Person Zuschreibbbares (die allerdings auch nicht sehr alt war).
- Vieles, was scheinbar Open Access ist, steht im deutlichen Widerspruch zum Commons-Gedanken. Wenn ich etwa Open Access primär als neues Geschäftsfeld definiere und ich es nur aus dieser Warte in meine ansonsten unveränderten Unternehmensstrategeme einbaue, steht dies im Widerspruch zum Commons-Gedanken, der die innere Transformation in Richtung Offenheit und Non- oder Low profit von uns erwartet. Wir müssen uns demzufolge vom Produkt und vom Marketing verabschieden und dies durch neue Semantiken ersetzen.
- Deshalb ist es hilfreich, eigene Software zur Verfügung zu haben, um Publikations-Prozesse so formen zu können, wie wir es gemeinsam wollen. Denn: Open Access braucht Independence!
- Aber: Wir Verlage müssen unsere Kosten decken können und uns überlebensfähig halten!
Ein kapitalistisches Missverständnis: - Ebenfalls im Widerspruch zu Open Access steht „Impact“ als maßgebliches Kriterium für den Erfolg von Publikationen im Sinne des Grades ihrer Rezeption. Der „Erfolg“ von Commons-Prozessen liegt vielmehr im Ermöglichen von Rezeption und Aneignung, in der Inklusion und im Öffnen einer Rezeptionsökologie selbst: Öffnen und Zugänglichmachen. In diesen Ökologien werden Inhalte Gegenstand multiplen Publizierens.
- Open Access ist eine Qualität des Publizierens, nicht primär eine Quantität.
Ein politischer Widerspruch: - Obwohl die großen Wissenschaftsförderer Open Access als neue Norm definieren, fördert die Politik andererseits ein konkurrentes neoliberales Wissenschaftssystem, das im krassen Widerspruch zum Kerngedanken von Open Science steht. Dieser Januskopf ist nicht eben hilfreich dabei, in Richtung Commons zu gehen.
- Ermöglichen von Rezeption und Adaption (= Teilen) sind im Open Access unsere Aufgabe: Verlage und Bibliotheken werden dabei zu Ermöglichern bzw. Enablern von Wissenschaft, zu Commoners, zu Partnern der Autor*innen.
- Für Bibliotheken und Verlage sind Open Access-Prozesse gleichermaßen Neu. Sie fordern uns heraus: Open Access und klassisches Publizieren unterliegen verschiedenen Rationalitäten. Wir sind aufgefordert, Erfinder zu werden und die beiden verschiedenen Systeme und Kontexte des Publizierens voneinander unterscheiden zu lernen (Wechsel zwischen zwei operativen Modi).
- Wir können viel von der Open Source-Community lernen und zu Commoners werden, wenn wir uns auf einen Community Building Prozess einlassen und genau da anfangen, wo wir alle jetzt sind. Für Open Access braucht es eine konviviale Haltung, nicht primär „ein Ziel erreichen wollen“, sondern sich gemeinsam in eine gute Richtung bewegen, Schritt für Schritt.
- Heterogenität ist die beste Voraussetzung für einen gelingenden Commons-Prozess. Wir sollten einander nicht ausweichen, sondern auf einander zugehen. Dabei ist Transparenz ein wesentlicher Faktor für das Zustandekommen von vertrauensvollen Kooperationen.